Argentinien: Gedanken von Botschafter Miguel Ángel Fernández

Liebe Mitmenschen,

während meiner Laufbahn als Lehrer und Direktor habe ich an vielen Konferenzen und Schulungen teilgenommen, in denen verschiedene Sichtweisen auf Bildung, neue Lehrmethoden, die Einbeziehung neuer Technologien sowie andere zeittypische Themen und deren Auswirkungen auf den Lehrauftrag behandelt wurden.

Seit einigen Jahren höre ich, dass Expertinnen und Experten damit begonnen haben, zu erklären, warum Schule, wie wir diese Bildungseinrichtung kennen, zum Verschwinden verurteilt ist. Ich habe diese Ideen nie ganz akzeptiert. Ich dachte, vielleicht liegt es an meiner eigenen persönlichen Geschichte oder daran, dass ich zu der Generation gehöre, die kurz vor dem Ruhestand steht; aber es fiel mir schwer, mir eine Welt ohne Schulen vorzustellen. Bis vor ein paar Monaten diese ungeahnte Zeit begann. Diese Zeit, in der wir plötzlich gezwungen waren, Schulen zu schließen. Diese Zeit, in der der Kampf gegen eine Pandemie uns zwingt, zu Hause zu bleiben und nicht nur unsere Lebensweise, sondern auch unser Verständnis von Familie, Gemeinschaft und der Welt zu verändern.

Am Montag, dem 16. März, traf sich an jedem unserer Schulstandort ein motiviertes Leitungsteam, um die Situation zu analysieren. Viele hatten bereits am Wochenende daran gearbeitet, ganz neue Wege vorzubereiten. Und dank dieser Leitung haben sich in unserer und auch in anderen Institutionen zahlreiche Lehrkräfte mit beeindruckender Geschwindigkeit selbst “dekonstruiert”, sie haben experimentiert, digitalen Unterricht geplant und durchgeführt und sich gegenseitig unterstützt, um dieser Situation gewachsen zu sein; diesem historischen Moment, in dem wir “zu Hause bleiben”.

Das alles bedeutet nicht, dass wir uns der Krankheit ergeben, sondern dass wir nach einem Weg suchen, um am Leben zu bleiben und effizient zu arbeiten. All diese Veränderungen können, wie in allen neuen Situationen, das Beste aus den Menschen hervorbringen, und das gilt auch für die Arbeit des gesamten Personals in allen Schulen.

Der erste Schritt waren Gespräche mit Schülerinnen und Schülern; allerdings waren wir besorgt, ob wir überhaupt richtig zuhören können. Ist es möglich, nur durch Sprechen oder Schreiben zu unterrichten? Nein. Und das wussten wir bereits. Was wir aber nicht wussten, war, dass die Technologie uns neue Werkzeuge lieferte, um diese Lücken zu füllen.
Was wir den Expertinnen und Experten der institutionellen Apokalypse nicht erklären können, ist, dass die Begegnung zwischen Menschen unersetzlich ist, dass Mädchen, Jungen und junge Menschen aus dem Austausch untereinander lernen, aus der Umarmung, aus dem Miteinander-Lachen, aus den Spielen.

Vor einigen Jahren besuchte eine Gruppe von Menschen aus einer lutherischen Gemeinde in der Stadt Chicago in den Vereinigten Staaten eine unserer Schulen, und nachdem sie einige Tage am Schulleben teilgenommen hatten, hinterließen sie uns als Geschenk zwei Beobachtungen, an die ich mich erinnere und die ich bei jeder Gelegenheit wiederhole. Die erste war, dass sie erstaunt waren, dass sich in der Schule Schülerinnen, Schüler, Lehrkräfte und Leitende jeden Tag mit einem Kuss begrüßten; die andere ist, ich zitiere wörtlich: “Wie könnt ihr mit so wenigen materiellen Ressourcen so viel erreichen?”

Vielleicht hat das Geheimnis des Überlebens der Schule mit Begegnungen, Zuneigung, Konflikten und dem Lernen, sich ihnen zu stellen und sie zu lösen, zu tun, aber das ist nicht alles. Es beruht auch auf kreativen, intelligenten, hart arbeitenden und affektiven Lehrkräften; in Menschen, Mädchen, Jungen, Jugendlichen, Lehrerinnen, Lehrern und allen Mitarbeitenden, die sich im Schulgebäude versammeln, um gemeinsam “die Schule” zu bauen.

Heute sind wir physisch getrennt, arbeiten aber zusammen. Wir wissen nicht, wann Umarmungen und Küsse wieder möglich sein werden, aber wir arbeiten mit Professionalität und Liebe auf das Wiedersehen hin.

Ich danke allen Mitgliedern der Bildungsgemeinschaft für das Einverständnis und die Verständigung darüber, dass Schule nicht verschwinden wird, sondern  sich darauf vorbereitet, weiter bereichert und gestärkt zu werden und mit neuen Instrumenten die Gemeinschaft und die Welt, in der wir leben, zu verändern und zu verbessern.

Prof. Ing. Miguel Ángel Fernández

Allgemeiner Koordinator
Obra Educativa Sinodal (IEA-IEES) de la Iglesia Evangélica Luterana Unida