Workshop zum gegenseitigen Verstehen in Dortmund

Workshop zum gegenseitigen Verstehen in Dortmund

Wir kommen alle gerne wieder zusammen!

Menschen aus anderen Kulturen zu begegnen empfinde ich oft als überraschend wunderbar. Sie sind für mich aber nicht zwingend unkompliziert. So erlebe ich das. Jetzt hatten meine Frau Ulrike und ich eine Idee. Unter dem Motto: „Dechiffrier den Code“ haben Ulrike und ich im Februar zu einem Tagesseminar eingeladen. Ulrike ist Dialogprozessbegleiterin und hat moderiert. Weil wir keine Konferenzatmosphäre wollten und auch nicht so viele Leute waren, haben wir es im Wohnzimmer  genossen. Das war spitze!

Im Rahmen des Workshops hören Menschen, die sonst gerne viel reden, überraschend  zu. Andere finden Raum für ihre Geschichten. So ergeht es Francine. Bei der Frage „Wann hast du dich als fremd wahrgenommen?“ ergreift sie das Wort. Die Lehrerin aus Goma, Demokratische Republik Kongo, kenne ich seit  Jahren. Darüber, wie sie sich zu Beginn ihres Aufenthaltes in Deutschland gefühlt hatte, wusste ich nichts. Das hatte sie nie erzählt.

„Wir kannten gar nichts. Sie haben uns Geld gegeben und gesagt, wo wir im Supermarkt einkaufen könnten!“, erinnert sich die Mutter von vier Jungen, “aber wir waren doch mit unseren Kindern erst vor ein paar Stunden in Deutschland angekommen. Wir kannten doch gar nichts! Das war sehr schlimm für mich.“  Francine ist die Aufregung noch heute abzuspüren. „ Bei uns in Goma hätten wir die Neuankommenden bekocht”, erzählt die Pädagogin, „ aber hier hat man uns den Schlüssel in die Hand gedrückt und uns anschließend alleine gelassen.“

Es verblüfft mich, dass die deutschen Gastgeber trotz jahrzehntelanger professioneller Erfahrungen mit internationalen Gästen deren Bedürfnisse nur bruchstückhaft kannten. Ich frage mich, wie empathisch ich wohl bin?

Auch Dirk bekommt neue Impulse. Als Lehrer  der Matthias Claudius Gesamtschule in Bochum arbeitet er seit Jahren mit dem Majengo Institut Goma, DRC und dem Rainbow House of Hope in Kampala, Uganda, zusammen.  Inzwischen hat  er viele Freunde in der Hauptstadt des ostafrikanischen Landes. Er fährt hin so oft er kann. Ein alter Hase würde man sagen. Umso erstaunter war ich, als Dirk nach dem Workshop nachdenklich zusammenfasst: “Erst heute wurde mir bewusst, dass ein nein in vielen Kulturen als persönliche Ablehnung empfunden wird“.

Beim Dialog ist es wichtig, einander Raum zu geben und zuzuhören. Das Wort ist keine Waffe. Niemand soll mit Argumenten erschlagen werden. Auf einem alten Tischtuch liegen ein paar Gegenstände: ein Stein, ein Herz aus Holz, ein stacheliger Igel und eine Schublade. Diese Dinge sind nicht Teil eines Dogmas. Sie sind veränderbar aber bewusst ausgewählt. Jean Gottfried nimmt eine kleine Schublade aus Holz. Er dreht sie in der Hand, schaut in die Runde und erzählt. „Ich hatte eben meine neue Pfarrstelle angetreten und wollte meinem Amtskollegen in der Adventszeit eine Freude machen“, sagt der promovierte Theologe, „und so bin ich mit einem Sack Kartoffeln, Reis und einer Flasche Öl mit meinen Söhnen losgegangen“.  Dann stand der Kongolese in der Dämmerung vor dem Pfarrhaus. Die deutsche Frau des Kollegen öffnet die Tür. Es gab keinen Gruß. Und es kam auch nicht zu einem Vorstellen.  Stattdessen provoziert die Anwesenheit des Mannes im Halbdunkel eine knappe Frage.  “‚Brauchen sie Hilfe? ‘, wurde ich gefragt“, berichtet  der Beauftragte für Mission, Ökumene und Weltverantwortung.  Dabei  schüttelt er den Kopf, um dann zu ergänzen: „Das werde ich nie vergessen!“ Obwohl sie Akademiker sind und in Deutschland arbeiten, werden sie automatisch immer wieder wie hilflose und hilfsbedürftige Menschen behandelt. Bei dieser Episode musste ich doch sehr lachen und ich glaube, dass Jean Gottfried das gut getan hat.

Es gab bei diesem Tagesworkshop keine bezahlten Experten und keine Vorträge. Alle Teilnehmenden trugen sozusagen ihr Expertenwissen in sich.  Jede einzelne Person erlebte sich hier und heute als wertvoll und freut sich auf ein nächstes Treffen. Wir haben Francine noch in die Stadt gefahren. Am Abend wollte sie für ihre Familie Kochbanen zubereiten.

Dieser Artikel wurde geschrieben von Tom E. Laengner, Botschafter von GPENreformation in Deutschland